WALDESNACHT - Samstags-Lesestunde:


Hörte er da ein Schluchzen, etwa weinen? Nun kam Bewegung in die kleine Figur, die er mehr als Schatten wahrnehmen konnte, denn als dreidimensionales Wesen. Mit ganz viel Anstrengung versuchte sie, etwas aus dem Auto zu zerren. Es musste sehr schwer sein, denn sie ächzte und schnaufte und schließlich brachte sie einen komischen Gegenstand, der weich und gleichzeitig hart wirkte, zum Vorschein. Sie wuchtete das Paket, ja so konnte man es nennen, aus dem Auto und setzte sich daneben. Sie sagte etwas, aber er konnte es nicht verstehen. Dann stand sie auf, alles schaute ziemlich wackelig aus, nahm ein Ende der Verpackung und begann damit, diese in Richtung Wasser zu zerren. Besser schleifen, tragen konnte sie das große Ding nicht – und das machte ihn immer neugieriger. Vorsichtig ging er näher an die Stelle heran, wo das Auto stand. Es handelte sich um eine Art Parkplatz, was allerdings übertrieben war. Denn eigentlich war es nichts weiter als eine Wiesenfläche, flaches, verfaulendes Gras, dass ob der vor- und zurückfahrenden Autos einfach keine Chance mehr hatte, weiter zu wachsen. Mühsam kam die kleine Frau vor ihm voran, zerrte ihre Last, die in etwa der eines Menschen glich, in Decken gewickelt und verpackt. Welch abstruser Gedanke, aber - war er das? Er sah sie nun schon unten am Fluss, es ging ein Stück abwärts, auch hier hatte sich das Gras den vielen Tritten nicht erwehren können und bot somit eine relativ freie Gehfläche. Abwärts ging es wohl leichter, sie war doch flott gewesen. Irgendetwas störte sie jedoch sehr und plötzlich kam sie den Steig herauf. Schnell duckte er sich hinter einen Busch, welcher Art konnte er in der Dunkelheit nicht erkennen. Spielte auch keine Rolle, Hauptsache er verbarg ihn. Die Gestalt ging zum Auto, schaltete die Innenbeleuchtung ein und suchte im Handschuhfach nach etwas. Fand es auch. Und machte sich mit einem kleinen, flachen Gegenstand wieder zum Flussufer auf. Vorsichtig folgte er ihr soweit wie möglich, wahrscheinlich hatte sie vorhin schon bemerkt, dass sie hier nicht allein war. Was nun genau geschah, sah er leider nicht, der Mond versteckte sich ziemlich vollends hinter den Wolken. Aber sie packte das Paket aus und holte hervor, was darin verborgen war. Dafür nahm sie den Gegenstand, der wohl so etwas wie ein Messer sein musste, hervor. Oh ja, darin war definitiv ein Mensch eingewickelt gewesen, ein Mann vermutlich. Ein Arm ragte in die Luft und dieser sah nun nicht nach einem zarten Frauenarm aus, außer es handelte sich um eine austrainierte Bodybuilderin. Lächerlich, eindeutig ein Mann, und da sie ihn in den Fluss warf, wohl ein Bekannter, ein von ihr ermordeter? Mann. Wow, wahrscheinlich ihr eigener! Immer hatte er vor seinem Ausstieg aus seinem langweiligen Leben, wie jeder Normalsterbliche es kennt, in Zeitungen gelesen, dass auch Frauen mordeten. Hier durfte er nun Zeuge eines Paradebeispiels werden und schon drehten sich sämtliche Räder seines Gehirns um die Frage – was nun? Sollte er sie einfach nur erschrecken, sollte er weitergehen? Sollte er das tun, weswegen er gesucht wurde und was ihn so unheimlich erregte? Sollte er sich in ihrem Auto verstecken und sie überraschen? Oh ja, das war die beste Variante und er musste schnell sein, denn so, wie es sich anhörte, watete sie gerade aus dem Wasser, wo sie die Leiche wahrscheinlich so weit wie möglich in die Mitte geschubst hatte, damit sie mit der Strömung verschwand. Jetzt! Was für ein Spaß ...
   
  Seelenleiden zu heilen vermag der Verstand wenig, die Zeit viel, entschlossene Tugend alle.“
Johann Wolfgang von Goethe




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